Montag, 28. Mai 2012

Pfingstaktion - Alfred Rohde - Pantheon 1942

Die grosse Pfingstaktion der Südthüringer Jonastal Gesellschaft für Bernsteinzimmerforschung (STJGFB)

DAS  BERNSTEINZIMMER  FRIEDRICHS I. IM  KÖNIGSBERGER  SCHLOSS
VON   ALFRED   ROHDE


Seit etwa Mitte des 17. Jahrhunderts gab eine neue Tech­nik der Bearbeitung des Bernsteins einen neuen gewaltigen Auftrieb, die Inkrustation, eine in ihrer gesteigerten Fassadenwirkung typisch barocke Technik, man konnte gewal­tig in den Dimensionen wachsen und ungeahnte Wirkun­gen aus dem an sich intimen Material herausholen. So traten nun, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt gesteigert, an Stelle der früheren kleinen kunstgewerblichen Objekte größere, und zwar mehrgeschossige Kästen, große Altäre und Kabinettschränke von beachtlicher Größe. Das Phan­tastischste, was aber je mit Hilfe der Inkrustationstechnik geschaffen ist, einmalig und einzig in seiner Art, ist das Bernsteinzimmer Friedrichs I., dem wir heute, nachdem es aus Zarskoje Sselo bei Petersburg zurückgekehrt ist und seine Aufstellung im Königsberger Schloß gefunden hat, wieder diese richtige alte Bezeichnung beilegen können. Die Geschichte des Bernsteinzimmers Friedrichs I., das nie zu der Bedeutung gelangt ist, die es nach seiner ganzen Art verdiente, da es bald nach seiner Fertigstellung nach Rußland verschenkt wurde, zeigt noch viele Lucken und unaufgeklärte Punkte. Friedrich I. scheint bald nach seiner Königsberger Krönung die erste Idee gefaßt zu haben, für Berlin einen Festsaal oder eine Galerie aus Bernstein her­stellen zu lassen und gab noch 1701 dem dänischen Bern­steinschneider Gottfried Wolffram, der von Königsberg nach Berlin kam, den Auftrag, für Charlottenburg eine Bernsteingalerie zu schaffen. Die Arbeit schritt munter fort, und es war bereits 1707 „die große Wandt in Char­lottenburg eingesetzet'', als Eosander von Goethe auf Grund schwerer Streitigkeiten dem allzu kostspieligen Bernstein­schneider die Arbeit entzog und sie zwei Danziger Bern­steinmeistern, Ernst Schacht und Gottfried Turow, über trug. Aus dieser Zeit stammt an dem Getäfel die Jahres­zahl „Anno 1709". Anscheinend ist das Getäfel aber in Charlottenburg nicht zur endgültigen Aufstellung gelangt, sondern man hat diesen Plan fallen gelassen, hat die fer­tigen und bereits eingebauten Teile wieder herausgenom­men und nach Berlin überführt und hier im Stadtschloß, in einem Eckzimmer der dritten Etage mit je einem Fenster zum Lustgarten und zur Schloßfreiheit, eingebaut. Hier hat das Zimmer der russische Zar Peter der Große wohl schon 1712 bewundern können, als er vergeblich Fried­rich I. für ein Bündnis gegen Karl XII. von Schweden zu gewinnen versuchte. Als dann dieses Schutz- und Trutz­bündnis zwischen Rußland und Preußen 1716 zustande kam, hat Friedrich Wilhelm I. das „Bernstein-Gemach" Friedrichs I. dem russischen Zaren geschenkt, der es 1717 über Königsberg, Memel, Riga nach Petersburg schaffen ließ.
In Petersburg wurde das Getäfel zuerst im Winterhaus eingebaut, dann etwa 1723/24 in das an seiner Stelle ent­standene Winterhaus an der Newa überführt, bis die Kaiserin Elisabeth 1755 anordnete, das Getäfel aus der Residenz ihrer Eltern herauszunehmen und nach Zarskoje Sselo zu überführen. Hier war aus einem kleinen Landgut, das Peter der Große nach der Gründung Petersburgs 1708 seiner Gemahlin Ka­tharina geschenkt hatte, unter Elisabeth eine riesige Palastanlage entstanden, deren Bauleitung in Händen des ita­lienischen Architekten Graf Carlo Rastrelli lag. Unter ihm wurde von dem italienischen Bildhauer und Bernstein­meister Martelli das Bernsteinzimmer, oder man muß jetzt schon sagen, der Festsaal aus Bernstein, in Zarskoje Sselo eingebaut. Martelli schloß seine Arbeit 1760 ab, ein Datum, das durch Inschrift vermerkt ist, aber noch 1763 arbeiteten 5 Königsberger Meister an dem Bernsteinzimmer weiter: Friedrich und Johann Roggenbuch, Clemens und Heinrich Wilhelm Frick und Johann Welpendorf. 1830 war eine umfassende Renovierung des Festsaales notwendig, die ein Drechslermeister Esch aus­führte. Seitdem hat sich die Vertäfelung im großen und ganzen gut bis auf un­sere Tage erhalten, und auch nach dem zaristischen Zusammenbruch wurden historisch und künstlerisch interessierte Besucher auf Filzpantoffeln durch die der Gegenwart entrückten Räume von Zarskoje Sselo und damit auch durch das Bernsteinkabinett geleitet. Das letzte Kapitel in der wechselreichen Geschichte dieses preußischen Kultur­denkmals schrieb die harte Auseinan­dersetzung zwischen Deutschland und Rußland im Jahre 1941. Als die deut­schen Truppen in einem geradezu un­vorstellbaren Siegessturm durch Li­tauen, Lettland und Estland geeilt waren, machten sie vor dem Festungs­gürtel von Leningrad halt, um diese Stadt mit einem immer enger sich ge­staltenden Einschließungsring zu um­ziehen. Dieser Ring rückte Zarskoje Sselo, das heutige Puschkin, in die vor derste Kampflinie. Das Schloß selbst war vorher schon durch eine schwere Fliegerbombe stark in Mitleidenschaft gezogen, der große Saal war vollkommen aufgerissen, Fensterscheiben, Fensterrahmen und Außentüren zerstört, so daß das Schloß neben den unvermeidlichen Kriegszer­störungen auch den Unbilden von Wind und Wetter aus­gesetzt war. Zwei Offiziere, Hauptmann Dr. Poensgen und Rittmeister Dr. Graf zu Solms-Laubach, beide Kunsthisto­riker in ihrem Zivilberuf, erkannten damals bei einer Besichti­gung im Auftrage des Chefs.der Heeresmuseen, daß das Bern­steinkabinett, wenn überhaupt, dann nur durch schnellen Abbau gerettet werden könne. Durch interessevollen Ein­satz vieler militärischer Dienststellen konnte dieser Abbau durch einen Unteroffizier und sechs Mann einer Baukom­panie innerhalb von 36 Stunden durchgeführt werden. So gelangte das Bernsteinkabinett aus Zarskoje Sselo nach Königsberg, wo es von der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten (Direktor Dr. Gall) den Kunst­sammlungen der Stadt Königsberg zur weiteren Betreuung übergeben wurde. Zurückgekehrt in des Wortes bester und tiefster Bedeutung in seine Heimat, der eigentlichen und einzigen Fundstelle des Bernsteins, bildet nunmehr das Bernsteinzimmer Friedrichs I. neben dem Lovis-Corinth- Ehrensaal die bedeutendste Zierde dieser Sammlungen. Gegenüber der Aufstellung in Zarskoje Sselo ist die jetzige Aufstellung in Königsberg etwas verändert, aus dem in Rußland fast quadratisch gewesenen Festsaal ist eine rcht-eckiger geworden, in dem die den Fenstern gegenüber­liegende Wand die Originalmaße von Zarskoje Sselo auf­weist, während bei den beiden übrigen Wänden je ein Feld mit je einem Spiegelfeld in Fortfall kommen mußte, das zwischen den Fenstern angebracht ist. Deutlich scheiden sich  die  barocken  Vertäfelungsfelder von  den  Rokoko­zutaten Rastrellis. Das Getäfel Friedrichs I. bestand nur aus 12 Wandfeldern und 10 Sockelfeldern, 4 breite Wand­stücke hatten Spiegel (wobei bei zweien 1717 nur Spiegel­rahmen vorhanden waren), 4 schmalere Wandstücke hatten „ausgeschweifte Spiegel zum Blaker", d. h. Wandleuchter, dazu kamen noch 4weitere Felder, die weit schmaler waren. Die 10 Sockelstücke waren von „egaler Höhe", aber „differenter Breite", es waren 4 Felder mit den Ini­tialen Friedrichs I., 4 Felder mit dem preußischen Adler und 2 Felder mit eigenartigen Hoheitszei­chen, die anscheinend auf „den bewaffneten Frie­den" deuten. Diese 12 Wandfelder und 10 Sockel­stücke konnten beliebig und verschieden zusam­mengesetzt werden und ergaben doch immer ein geschlossenes Raumbild. In Charlottenburg waren sie galeriemäßig geordnet, d. h. wohl alle neben­einander an einer langen Wand, gegenüber einer Fensterflucht untergebracht,  im  Berliner  Stadt­schloß schmückten sie einen mehr quadratischen oder rechteckigen Raum, ein „Eckzimmer", das auf zwei Seiten je ein Fenster hatte. Nach den vor­handenen Feldern wird die Charlottenburger Bern­steingalerie eine Länge von etwa 14 Metern gehabt haben, während der Eckraum im Stadtschloß Berlin nach Köhne 15x16 Fuß maß, also etwa 16 Qua­dratmeter groß war, bei einer Höhe von 4,75 Metern machte der Raum demnach wirklich einen kabinett­artigen oder „gemach"artigen Eindruck. Wer der eigentliche Schöpfer der künstlerischen Idee dieses Raumes unter Friedrich I. war, läßt sich nicht sagen, die erwähnten Bernsteinmeister Wolffram, Schacht und Turow sind kaum die Erfinder, sondern nur nach Anweisungen Ausführende, hin­ter dem Ganzen steht ein größerer Geist, ein deko­rativ und architektonisch gleich ausgewogener Baumeister. Die verwickelte Baugeschichte des Charlottenburger Schlosses ist noch nicht in allen Einzelheiten geklärt, immer wieder ist mit ihr der Name Andreas Schlüters genannt, ebenso häufig aber dann auch wieder abgelehnt worden. Wäre die Frage für Schlüter zu entscheiden, dann möchte man in der Tat etwas von seinem dekorativen Geist in diesem Wandgetäfel spüren, der kräftige Schnitt der Akanthusranken und Rosetten, die häufig an den Schnitt der Kunkelgläser aus der Potsdamer Glashütte erinnern, findet seine künstlerische Deu­tung und Erklärung ebenso wie die häufige Ver­wendung plastischen Dekors, wobei die 8 Masken sterbender Krieger, die „Alte-Kerls-Köpfe", un­seren Blick auf die Zeughausmasken lenken, die gerade auch in jenen Jahren entstanden. Viermal ist dieses Getäfel immer wieder in ver­änderten Maßen aufgebaut worden, erst in Char­lottenburg, dann in Berlin und schließlich in Petersburg zuerst im Alten Winterpalais, dann im Neuen Winterpalais, bis Rastrelli 1755 den Auftrag bekam, mit Hilfe des vorhandenen Getäfels einen kleinen Festsaal in Zarskoje Sselo zu gestalten. Alle phan­tastischen Maße, die bisher in der Literatur angegeben sind, sind stark übertrieben und beruhen auf falscher Übernahme russischer Maße auf deutsche; der Raum, in dem das Getäfel eingebaut war, maß 10,16 Meter zu 10,13 Metern, war also annähernd quadratisch, er hatte eine Flöhe von annähernd 6 Metern, während das Getäfel nur 4,75 Meter hoch war. Rastrelli stattete den Raum mit drei Türen aus, für die Tür der längeren Wand, die der Fensterfront gegenüber lag, hatte er eine Bernsteinsupra­porte, die er verwenden konnte, über die beiden Seiten­türen setzte er riesige holzgeschnitzte Supraporten, die ebenso wie die reich dekorierten Rokokotüren auf Weiß und Gold abgestimmt waren. Die wesentlichste Verän­derung des Raumes bedeutete aber die Einziehung von schmalen Wandfeldern mit großen Spiegelflächen, die etwa in der Mitte drciarmige Bronzeleuchter tragen, zwischen die einzelnen Bernsteinfelder; 24 Spiegelfelder rahmen auf diese Weise die Bernsteinfelder ein und schließen sie zu einem glitzernden Festsaal zusammen. Der reiche Schnitz-und bildhauerische Schmuck der Türen, Supraporten und Spiegelfelder stammt, wie wir ohne weiteres annehmen dürfen, von dem aus Wien nach Petersburg kommenden deutschen Bildhauer und Bildschnitzer Johann Franz Dunker, der einer der meistbeschäftigten Künstler unter Rastrelli in Zarskoje Sselo und Petersburg gewesen ist. Im übrigen hat Rastrelli an der Vertäfelung selbst wenig ge­ändert. Die Sockelstücke der Spiegelfelder sind damals neu gemacht, eines dieser Sockelstücke trägt auch die Jahreszahl: „Anno 1760", bei den Wandfeldern mit den geschweiften Blakerspiegeln sind die hier wohl ursprüng­lich vorhandenen Leuchter (Blaker) entfernt, die geschweif­ten Spiegel aber belassen. Bei den breiteren Wandfeldern sind die Spiegel, die die Mitte der Felder zierten, von Rastrelli entfernt worden und an ihrer Stelle große Rah­menfelder mit eingesetzten Steinmosaikbildern verwendet worden. Anregung zu diesen Rokokofeldern gab ein großer, heute leider sehr zerstörter Spiegelrahmen, den Friedrich der Große 1745 der Kaiserin Elisabeth schenkte, und der in die linke Seitenwand eingebaut ist. Nach ihm wurden wohl die drei anderen Rahmenstücke gearbeitet. In alle 4 Rahmenstücke wurden italienische (toskanische) Stein­mosaikbilder, die vier Sinne darstellend, eingesetzt, von denen leider eines fehlt und jetzt durch einen Spiegel er­setzt ist. Rastrelli, Sohn eines in Florenz geborenen, von Peter dem Großen nach Petersburg berufenen Bildhauers und Architekten, selbst in Paris geboren und vom 15. Le­bensjahr in Rußland aufgezogen, ist einer der ganz großen Architekten in Rußland, der, obwohl Bahnbrecher west-und südeuropäischer Kunst, in Rußland stets ein leben­diger Fürsprecher des nationalen Charakters blieb, er ist der eigentliche Schöpfer und Begründer des russischen Rokokos, dessen lokale Eigentümlichkeiten oft als „Stil Rastrelli" bezeichnet werden. Im Bernsteinzimmer wird dieser manchmal ins Prachtvolle und Prunkvolle ausschwei­fende Gestaltungsstil Rastrellis noch machtvoll gebändigt durch die Barockteile der Vertäfelung, die sich nicht über­tönen lassen; sie geben den Grundton, die Wärme des Bernsteinmaterials bändigt alle Kälte und Pracht, die Rastrelli in den Raum hineinzubringen versuchte, so daß die ganze Dekoration heute im allgemeinen einen gleich angenehmen Eindruck bei Sonnenlicht und künstlicher Beleuchtung macht.

Pantheon : internationale Jahreszeitschrift für Kunst, 30.1942, Seite. 200-203

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