Die grosse Pfingstaktion der Südthüringer Jonastal Gesellschaft für Bernsteinzimmerforschung (STJGFB)
DAS BERNSTEINZIMMER FRIEDRICHS I. IM KÖNIGSBERGER SCHLOSS
VON
ALFRED ROHDE
Seit etwa Mitte des 17.
Jahrhunderts gab eine neue Technik der Bearbeitung des Bernsteins einen neuen
gewaltigen Auftrieb, die Inkrustation, eine in ihrer gesteigerten Fassadenwirkung
typisch barocke Technik, man konnte gewaltig in den Dimensionen wachsen und
ungeahnte Wirkungen aus dem an sich intimen Material herausholen. So traten
nun, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt gesteigert, an Stelle der früheren
kleinen kunstgewerblichen Objekte größere, und zwar mehrgeschossige Kästen,
große Altäre und Kabinettschränke von beachtlicher Größe. Das Phantastischste,
was aber je mit Hilfe der Inkrustationstechnik geschaffen ist, einmalig und
einzig in seiner Art, ist das Bernsteinzimmer Friedrichs I., dem wir heute,
nachdem es aus Zarskoje Sselo bei Petersburg zurückgekehrt ist und seine Aufstellung im Königsberger Schloß gefunden
hat, wieder diese richtige alte Bezeichnung beilegen können. Die Geschichte des
Bernsteinzimmers Friedrichs I., das nie zu der Bedeutung gelangt ist, die es
nach seiner ganzen Art verdiente, da es bald nach seiner Fertigstellung nach
Rußland verschenkt wurde, zeigt noch viele Lucken und unaufgeklärte Punkte.
Friedrich I. scheint bald nach seiner Königsberger Krönung die erste Idee
gefaßt zu haben, für Berlin einen Festsaal oder eine Galerie aus Bernstein herstellen
zu lassen und gab noch 1701 dem dänischen Bernsteinschneider Gottfried
Wolffram, der von Königsberg nach Berlin kam, den Auftrag, für Charlottenburg
eine Bernsteingalerie zu schaffen. Die Arbeit schritt munter fort, und es war
bereits 1707 „die große Wandt in Charlottenburg eingesetzet'', als Eosander
von Goethe auf Grund schwerer Streitigkeiten dem allzu kostspieligen Bernsteinschneider
die Arbeit entzog und sie zwei Danziger Bernsteinmeistern, Ernst Schacht und
Gottfried Turow, über trug.
Aus dieser Zeit stammt an dem Getäfel die Jahreszahl
„Anno 1709". Anscheinend ist das Getäfel aber in Charlottenburg nicht zur
endgültigen Aufstellung gelangt, sondern man hat diesen Plan fallen gelassen,
hat die fertigen und bereits eingebauten Teile wieder herausgenommen und nach
Berlin überführt und hier im Stadtschloß, in einem Eckzimmer der dritten Etage
mit je einem Fenster zum Lustgarten und zur Schloßfreiheit, eingebaut. Hier hat
das Zimmer der russische Zar Peter der Große wohl schon 1712 bewundern können,
als er vergeblich Friedrich I. für ein Bündnis gegen Karl XII. von Schweden zu
gewinnen versuchte. Als dann dieses Schutz- und Trutzbündnis zwischen Rußland
und Preußen 1716 zustande kam, hat Friedrich Wilhelm I. das
„Bernstein-Gemach" Friedrichs I. dem russischen Zaren geschenkt, der es
1717 über Königsberg, Memel, Riga nach Petersburg schaffen ließ.
In Petersburg
wurde das Getäfel zuerst im Winterhaus eingebaut, dann etwa 1723/24 in das an
seiner Stelle entstandene Winterhaus an der Newa überführt, bis die Kaiserin
Elisabeth 1755 anordnete, das Getäfel aus der Residenz ihrer Eltern
herauszunehmen und nach Zarskoje Sselo zu überführen. Hier war aus einem
kleinen Landgut, das Peter der Große nach der Gründung Petersburgs 1708 seiner
Gemahlin Katharina geschenkt hatte, unter Elisabeth eine riesige Palastanlage
entstanden, deren Bauleitung in Händen des italienischen Architekten Graf
Carlo Rastrelli lag. Unter ihm wurde von dem italienischen Bildhauer und
Bernsteinmeister Martelli das Bernsteinzimmer, oder man muß jetzt schon sagen,
der Festsaal aus Bernstein, in Zarskoje Sselo eingebaut. Martelli schloß seine
Arbeit 1760 ab, ein Datum, das durch Inschrift vermerkt ist, aber noch 1763
arbeiteten 5 Königsberger Meister an dem Bernsteinzimmer weiter: Friedrich und
Johann Roggenbuch, Clemens und Heinrich Wilhelm Frick und Johann Welpendorf.
1830 war eine umfassende Renovierung des Festsaales notwendig, die ein
Drechslermeister Esch ausführte. Seitdem hat sich die Vertäfelung im großen
und ganzen gut bis auf unsere Tage erhalten, und auch nach dem zaristischen
Zusammenbruch wurden historisch und künstlerisch interessierte Besucher auf
Filzpantoffeln durch die der Gegenwart entrückten Räume von Zarskoje Sselo und
damit auch durch das Bernsteinkabinett geleitet. Das letzte Kapitel in der
wechselreichen Geschichte dieses preußischen Kulturdenkmals schrieb die harte
Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Rußland im Jahre 1941. Als die
deutschen Truppen in einem geradezu unvorstellbaren Siegessturm durch Litauen,
Lettland und Estland geeilt waren, machten sie vor dem Festungsgürtel von
Leningrad halt, um diese Stadt mit einem immer enger sich gestaltenden
Einschließungsring zu umziehen. Dieser Ring rückte Zarskoje Sselo, das heutige
Puschkin, in die vor derste
Kampflinie. Das Schloß selbst war vorher schon durch eine schwere
Fliegerbombe stark in Mitleidenschaft gezogen, der große Saal war vollkommen
aufgerissen, Fensterscheiben, Fensterrahmen und Außentüren zerstört, so daß das
Schloß neben den unvermeidlichen Kriegszerstörungen auch den Unbilden von Wind
und Wetter ausgesetzt war. Zwei Offiziere, Hauptmann Dr. Poensgen und
Rittmeister Dr. Graf zu Solms-Laubach, beide Kunsthistoriker in ihrem
Zivilberuf, erkannten damals bei einer Besichtigung im Auftrage des Chefs.der Heeresmuseen, daß das Bernsteinkabinett,
wenn überhaupt, dann nur durch schnellen Abbau gerettet werden könne. Durch
interessevollen Einsatz vieler militärischer Dienststellen konnte dieser Abbau
durch einen Unteroffizier und sechs Mann einer Baukompanie innerhalb von 36
Stunden durchgeführt werden. So gelangte das Bernsteinkabinett aus Zarskoje
Sselo nach Königsberg, wo es von der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und
Gärten (Direktor Dr. Gall) den Kunstsammlungen der Stadt Königsberg zur
weiteren Betreuung übergeben wurde. Zurückgekehrt in des Wortes bester und
tiefster Bedeutung in seine Heimat, der eigentlichen und einzigen Fundstelle
des Bernsteins, bildet nunmehr das Bernsteinzimmer Friedrichs I. neben dem
Lovis-Corinth- Ehrensaal die
bedeutendste Zierde dieser Sammlungen. Gegenüber der Aufstellung in
Zarskoje Sselo ist die jetzige Aufstellung in Königsberg etwas verändert, aus
dem in Rußland fast quadratisch gewesenen Festsaal ist eine rcht-eckiger
geworden, in dem die den Fenstern gegenüberliegende Wand die Originalmaße von
Zarskoje Sselo aufweist, während bei den beiden übrigen Wänden je ein Feld mit
je einem Spiegelfeld in Fortfall kommen mußte, das zwischen den Fenstern
angebracht ist. Deutlich scheiden sich
die barocken Vertäfelungsfelder von den
Rokokozutaten Rastrellis. Das Getäfel Friedrichs I. bestand nur aus 12
Wandfeldern und 10 Sockelfeldern, 4 breite Wandstücke hatten Spiegel (wobei
bei zweien 1717 nur Spiegelrahmen vorhanden waren), 4 schmalere Wandstücke
hatten „ausgeschweifte Spiegel zum Blaker", d. h. Wandleuchter, dazu kamen
noch 4weitere Felder, die weit schmaler waren. Die 10 Sockelstücke waren von
„egaler Höhe", aber „differenter Breite", es waren 4 Felder mit den
Initialen Friedrichs I., 4 Felder mit dem preußischen Adler und 2 Felder mit
eigenartigen Hoheitszeichen, die anscheinend auf „den bewaffneten Frieden"
deuten. Diese 12 Wandfelder und 10 Sockelstücke konnten beliebig und
verschieden zusammengesetzt werden und ergaben doch immer ein geschlossenes
Raumbild. In Charlottenburg waren sie galeriemäßig geordnet, d. h. wohl alle
nebeneinander an einer langen Wand, gegenüber einer Fensterflucht
untergebracht, im Berliner
Stadtschloß schmückten sie einen mehr quadratischen oder rechteckigen
Raum, ein „Eckzimmer", das auf zwei Seiten je ein Fenster hatte. Nach den
vorhandenen Feldern wird die Charlottenburger Bernsteingalerie eine Länge von
etwa 14 Metern gehabt haben, während der Eckraum im Stadtschloß Berlin nach
Köhne 15x16 Fuß maß, also etwa 16 Quadratmeter groß war, bei einer Höhe von
4,75 Metern machte der Raum demnach wirklich einen kabinettartigen oder
„gemach"artigen Eindruck. Wer der eigentliche Schöpfer der künstlerischen
Idee dieses Raumes unter Friedrich I. war, läßt sich nicht sagen, die erwähnten
Bernsteinmeister Wolffram,
Schacht und Turow sind kaum die Erfinder, sondern nur nach Anweisungen Ausführende,
hinter dem Ganzen steht ein größerer Geist, ein dekorativ und architektonisch
gleich ausgewogener Baumeister. Die verwickelte Baugeschichte des
Charlottenburger Schlosses ist noch nicht in allen Einzelheiten geklärt, immer
wieder ist mit ihr der Name Andreas Schlüters genannt, ebenso häufig aber dann
auch wieder abgelehnt worden. Wäre die Frage für Schlüter zu entscheiden, dann
möchte man in der Tat etwas von seinem dekorativen Geist in diesem Wandgetäfel
spüren, der kräftige Schnitt der Akanthusranken und Rosetten, die häufig an den
Schnitt der Kunkelgläser aus der Potsdamer Glashütte erinnern, findet seine
künstlerische Deutung und Erklärung ebenso wie die häufige Verwendung
plastischen Dekors, wobei die 8 Masken sterbender Krieger, die „Alte-Kerls-Köpfe",
unseren Blick auf die Zeughausmasken lenken, die gerade auch in jenen Jahren
entstanden. Viermal ist dieses Getäfel immer wieder in veränderten Maßen
aufgebaut worden, erst in Charlottenburg, dann in Berlin und schließlich in
Petersburg zuerst im Alten Winterpalais, dann im Neuen Winterpalais, bis
Rastrelli 1755 den Auftrag bekam, mit Hilfe des vorhandenen Getäfels einen
kleinen Festsaal in Zarskoje Sselo zu gestalten. Alle phantastischen Maße, die
bisher in der Literatur angegeben sind, sind stark übertrieben und beruhen auf
falscher Übernahme russischer Maße auf deutsche; der Raum, in dem das Getäfel
eingebaut war, maß 10,16 Meter zu 10,13 Metern, war also annähernd quadratisch,
er hatte eine Flöhe von annähernd 6 Metern, während das Getäfel nur 4,75 Meter
hoch war. Rastrelli stattete den Raum mit drei Türen aus, für die Tür der
längeren Wand, die der Fensterfront gegenüber lag, hatte er eine Bernsteinsupraporte,
die er verwenden konnte, über die beiden Seitentüren setzte er riesige
holzgeschnitzte Supraporten, die ebenso wie die reich dekorierten Rokokotüren
auf Weiß und Gold abgestimmt
waren. Die wesentlichste Veränderung des Raumes bedeutete aber die
Einziehung von schmalen Wandfeldern mit großen Spiegelflächen, die etwa in der
Mitte drciarmige Bronzeleuchter tragen, zwischen die einzelnen Bernsteinfelder;
24 Spiegelfelder rahmen auf diese Weise die Bernsteinfelder ein und schließen
sie zu einem glitzernden Festsaal zusammen. Der reiche Schnitz-und
bildhauerische Schmuck der Türen, Supraporten und Spiegelfelder stammt, wie wir
ohne weiteres annehmen dürfen, von dem aus Wien nach Petersburg kommenden
deutschen Bildhauer und Bildschnitzer Johann Franz Dunker, der einer der
meistbeschäftigten Künstler unter Rastrelli in Zarskoje Sselo und Petersburg
gewesen ist. Im übrigen hat Rastrelli an der Vertäfelung selbst wenig geändert.
Die Sockelstücke der Spiegelfelder sind damals neu gemacht, eines dieser
Sockelstücke trägt auch die Jahreszahl: „Anno 1760", bei den Wandfeldern
mit den geschweiften Blakerspiegeln sind die hier wohl ursprünglich
vorhandenen Leuchter (Blaker) entfernt, die geschweiften Spiegel aber
belassen. Bei den breiteren Wandfeldern sind die Spiegel, die die Mitte der
Felder zierten, von Rastrelli entfernt worden und an ihrer Stelle große Rahmenfelder
mit eingesetzten Steinmosaikbildern verwendet worden. Anregung zu diesen
Rokokofeldern gab ein großer, heute leider sehr zerstörter Spiegelrahmen, den
Friedrich der Große
1745 der Kaiserin Elisabeth schenkte, und der in die linke Seitenwand eingebaut
ist. Nach ihm wurden wohl die drei anderen Rahmenstücke gearbeitet. In alle 4
Rahmenstücke wurden italienische (toskanische) Steinmosaikbilder, die vier
Sinne darstellend, eingesetzt, von denen leider eines fehlt und jetzt durch
einen Spiegel ersetzt ist. Rastrelli, Sohn eines in Florenz geborenen, von
Peter dem Großen nach Petersburg berufenen Bildhauers und Architekten, selbst
in Paris geboren und vom 15. Lebensjahr in Rußland aufgezogen, ist einer der
ganz großen Architekten in Rußland, der, obwohl Bahnbrecher west-und
südeuropäischer Kunst, in Rußland stets ein lebendiger Fürsprecher des
nationalen Charakters blieb, er ist der eigentliche Schöpfer und Begründer des
russischen Rokokos, dessen lokale Eigentümlichkeiten oft als „Stil
Rastrelli" bezeichnet werden. Im Bernsteinzimmer wird dieser manchmal ins
Prachtvolle und Prunkvolle ausschweifende Gestaltungsstil Rastrellis noch
machtvoll gebändigt durch die Barockteile der Vertäfelung, die sich nicht übertönen
lassen; sie geben den Grundton, die Wärme des Bernsteinmaterials bändigt alle
Kälte und Pracht, die Rastrelli in den Raum hineinzubringen versuchte, so daß
die ganze Dekoration heute im allgemeinen einen gleich angenehmen Eindruck bei
Sonnenlicht und künstlicher Beleuchtung macht.
Pantheon : internationale Jahreszeitschrift für Kunst, 30.1942, Seite. 200-203
Pantheon : internationale Jahreszeitschrift für Kunst, 30.1942, Seite. 200-203
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