Donnerstag, 7. Juni 2012

Die Henkensiefken Briefe aus dem Jahr 1960

Im Jahre 1960 erschien im Ostpreussenblatt ein Artikel über das Bernsteinzimmer. Am 30. September 1960 erschien in der 40ten Ausgabe des 11ten Jahrgangs der Bericht "Wo blieb das Bernsteinzimmer ?".

Nach Veröffentlichung des Artikels entstand ein Schriftwechsel zwischen Friedrich Henkensiefken und Hans Gerlach in welchem sich die beiden zu den Inhalten des Artikels austauschten.

Mitglieder der Archive Recovery Unit (ARU) der Südthüringer Jonastal Gesellschaft für Bernsteinzimmerforschung (STJGFB) konnten den Schriftwechsel im GStA in Berlin einsehen.

Exclusiv hier, auf den Internetseiten der Südthüringer Jonastal Gesellschaft für Bernsteinzimmerforschung (STJGFB), wird der komplette Wortlaut des Schriftwechsels veröffentlicht.



Kassel-Whoehe, den 9. Oktober 1960
Mulangstrasse 8.

Sehr verehrter Herr Oberbaurat !

Fuer Ihren Brief mit den Fragen nach dem Bernsteinzimmer danke ich Ihnen herzlich. Auch ich hatte den Aufsatz im Ostpreussenblatt gelesen und wollten Ihnen schon von mir aus alles das schreiben, worauf ich mich noch besinnen kann. Da ich auch hoffte, auch Naeheres ueber das Schicksal Dr. Rohdes schreiben zu koennen, wandte ich mich an einen Koenigsberger Bekannten, der jetzt in Bielefeld ansaessig ist. Er war in Kbg. als Zahnarzt taetig und erlebte mit seinen Eltern auch die russische Zeit (bis 1947?). Da die Russen Aerzte brauchten, wurde e rim Krankenhaus der Barmherzigkeit eingesetzt. Wie er mir vor langer Zeit gelegentlich erzaehlte, hat er damals auch Dr. Rohde und Frau im Krankenhaus wieder getroffen, die er von Bilderkaeufen bei den Ausstellungen im Kroenungsgang kannte. Dr. Rohde war sehr krank und ist an Dysenterie gestorben. Ich hatte also jetz auf Grund des Aufsatzes ueber das Bernsteinzimmer nochmal an unseren Freund geschrieben und um genaue Einzelheiten – Ort, Zeit, Todesursache – gebeten. Leider ist die Antwort noch nicht eingegangen, die ich Ihnen aber sofort nach Eingang uebermitteln werde.

Was ich Ihnen ueber das Bernstseinzimmer sagen kann, ist nicht viel. Von Frau Krueger erhielt ich vor langer Zeit die Adresse von Frl. Magdalene Rau, die im Vorzimmer von Dr. Rohde als Sekretaerin sass. Vielleicht weiss sie noch mehr. Ihre Adresse ist : Muenchen, Poststrasse 16 I. Ich weiss nicht, ob sie nicht umgezogen ist.

Das Bernsteinzimmer ist schon im Herbst 1941 durch die SS (SD) nach Koenigsberg gebracht worden. Diese Aktion war keineswegs geheim, was auch schon daraus hervorging, dass von Anfang an beabsichtigt war, das Zimmer der Oeffentlichkeit zugaenglich zu machen. Dr. Rohde bestimmte hierfuer den Raum 37 neben dem Lovis-Corinth-Gedaechtnissaal im III.Geschoss des Unfriedbaus. Da der Raum aber kleiner war als der in Zarskoje Sselo, konnten nicht alle Stuecke aufgestellt bezw. angebracht werden, u.a. auch nicht die Spiegelfelder und die dazwischen befindlichen Fuellstuecke mit Bernsteinauflage. Anfang 1942 war der Raum eingerichtet und wurde zur Besichtigung freigegeben. In dem im Fruehjahr 1942 von der Verwaltung der Staatlichen Schloesser und Gaerten herausgegebenen Fueher “Das Schloss in Koenigsberg (Pr) und seine Sammlungen” Fuenfte erweiterte Auflage, bearbeitet von Dr. Alfred Rohde, wird das Bernsteinzimmer wie folgt beschrieben:

Raum 37 (neben dem Corinthsaal) Bernsteinzimmer Friedrichs I. aus Zarskoje Sselo bei Leningrad.Das Zimmer wurde bald nach der Koenigskroenung Friedrichs I. 1701 fuer Charlottenburg begonnen, dann im Stadtschloss Berlin eingebaut.1716 schenkte es Friedrich Wilhelm I. dem russischen Zaren Peter d. Grossen, der es in sein Winterpalais in Petersburg ueberfuehrte. Die Kaiserin Elisabeth uebertrug es nach Zarskoje Sselo, wo Rastelli es mit reichen Rokokozutaten 1755-1760 einbauen liess. Deutsche Soldaten retteten im Herbst 1941 das Zimmer aus dem stark gefaehrdetem Schloss.

Das Bernsteinzimmer wurde m. W. bereits vor der Einrichtung der Wehrmachtsausstellung im Sommer 1943 wieder ausgebaut, da auch die Raeume des III. Stockwerkes im Unfriedbau fuer diese Ausstellung in Anspruch genommen warden sollten. Die Teile wurden verpackt und zunaechst in den Arbeits- und Unterstellraeumen im Erdgeschoss des Suedfluegels (anschliessend an den Unfriedfluegel) untergebracht. Fuer die endgueltige Unterbringung wurden vorgesehen der untere Raum des Schlossturms, der Luftschutzraum im Unfriedbau oder schliesslich der oeffentliche Luftschutzbunker in der Naehe der Neurossgaerter Kirche (Butterbergstr. Oder Coppernicusstrasse?). An allen Stellen wurden die wertvollen Kunstgegenstaende aus den Schloss- und Museumsbestaenden untergebracht. Wohin dabei das Bernsteinzimmer gekommen ist, darauf kann ich mich nicht mehr besinnen. Es wurde auch die Auskunft im Ostfluegel zur Aufnahme von Kunstgegenstaenden hergerichtet. Hier wie auch in den Ordensraeumen befanden sich nach meiner Erinnerung nur Bilde rund Kunstgewerbe aus den Kgl.Gemaechern. Auch der Turmraum kam fuer die Unterbringung des Bernsteinzimmers nicht in Betracht, da die Gefahr bestand, dass die geleimten Platten mit dem Bernstein infolge der dort herrschenden Feuchtigkeit Schaden erleiden koennten.

Ob das Bernsteinzimmer noch bei den Luftangriffen im August 1944 im Schloss war, kann ich heute nicht mehr angeben. Es ist aber sicher, dass es bei den beiden Luftangriffen nicht zerstoert worden ist; nur die Spiegel, die wegen ihrer Groesse nicht eingepackt waren und in den Arbeitsraeumen des Suedfluegels aufbewahrt waren, sind be idem zweiten Angriff verbrannt. Ich erinnere mich sehr gut, dass Dr. Rohde am Tag nach dem Angriff in einem Gespraech mit mir erleichternd aufatmend feststellte, dass das eigentliche  Bernsteinzimmer wenigstens erhalten sei. Die luftschutzmaessig hergerichtete Auskunft des Suedfluegels war ebenfalls ausgebrannt.

Es ist mir allerdings auch nicht ausgeschlossen, dass in der Zeit zwischen dem 1. und 2. Luftangriff das Bernsteinzimmer ausgelagert wurde. Dr. Rohde un ich hatten lange zuvor Adelssitze und Gutshoefe auf ihre Eignung fuer die Unterbringung von Kunstschaetzen besichtigt. In diesen Tagen wurden im ganzen Schloss fieberhaft Luftschutzvorbereitungen getroffen, wobei ich mich in erster Linie um die Baulichkeiten, die Ordensraeume und die Kgl. Gemaecher bekuemmern musste.

Die Tafeln des Bernsteinzimmers bestanden aus Teilen, die mit Schrauben zusammengehalten wurden. In Kisten verpackt – auch aus Zarskoje Sselo kamen sie in Kisten – liessen sie sich verhaeltnissmaessig leicht transportieren. Die oberen Felder einschl. Der Goldleisten sind nicht nach Kbg. gekommen.

In der beiliegenden Skizze lassen sich die einzelnen Teile leicht erkennen :

Quelle : GStA

A) Panneel mit
B) Verbindungsstueck,
C) Grosses Feld,
D) herausnehmbares Mittelstueck (Namenszug mit Krone oder Bild)
E) Oberes Stueck mit reichen Bernsteinarbeiten,
F) Spiegel,
G) Fuellstueck (auch mit Bernsteinbelag)
H) Wandbrachen (kamen sehr beschaedigt nach Kbg.)

Ich wuerde mich freuen, sehr verehrter Herr Oberbaurat, wenn Si emit diesen Angaben etwas anfangen koennten und hoffe, dass ich Ihnen in Kuerze Naeheres ueber Dr. R. mitteilen kann. Die Behauptungen, dass er ein Naziagent gewesen sei, ist geradezu laecherlich, ebenso, dass er bewusst die Unterbringungsorte der Kunstgueter verschwiegen haben sollte. Ich fuehre sein damaliges Verhalten nur auf seine schlechte koerperliche Verfassung zurueck. Dr. R. war in manchen Dingen weltfremd und aengstlich, wie ich sehr of festgestellt habe.Das Chaos in Kbg hat ihn wahrscheinlich seelisch und koerperlich vollstaendig zermuerbt.

Mit herzlichen Gruessen auch an Ihre Gattin bin ich Ihr ergebener
(Unterschrift Henkensiefken)


Interessant an diesem Dokument ist der Hinweis auf nicht nach Königsberg gekommene Elemente des Bernsteinzimmers, welche Henkensiefken explizit erwähnt.

6 Tage später korrigiert, bzw. ergänzt Henkensiefken seine Ausführungen in einem weiteren Brief an Gerlach.



Kassel-Whoehe, den 15. Oktober 1960

Sehr verehrter Herr Oberbaurat !

Nachdem ich den Aufsatz von Frau Elias – Rohde in Nr. 42 des Ostpreussenblattes gelesen habe, muss ich meine Angaben berichtigen.

Aus der Erwaehnung der Tatsache, dass sich nach dem Brand in der Wehrmachtsausstellung im Oktober 1943 am Bernsteinzimmer Rauchschaeden – weisser Belag – zeigten, an die meine Frau und ich uns jetzt wieder sehr gut erinnern, ergibt sich ganz klar, dass das Zimmer erst nach der Ausstellung wieder ausgebaut sein kann. Es muss wohl in die Wehrmachtsausstellung einbezogen worden sein, den auch im 3. Stock des Unfriedbaus befand sich die Ausstellung und zwar waren dort die Aufgaben der Heeresverwaltung, z. B. Truppenverpflegung, an Beispielen und Proben dargestellt. Auch war in einem der ersten Raeume (ueber den Ahnensaal) ein vollstaendiger Unterstand mit viel Holz und Stroh aufgebaut, der wegen der erhoehten Feuersgefahr auf Ihren Einspruch entfernt werden musste.

Ob das Bernsteinzimmer noch im Winter 43/44 oder im Fruehjahr 1944 eingepackt wurde, kann ich nicht sagen. Die von Frau Elias-Rohde angegebene Zeit (Einsatz zum Bau von Panzersperren, also etwa von Mai 44 ab) scheint mir aber zu spaet zu sein.

Ueber das Schicksal von Dr. Rohde habe ich noch nichts erfahren.

Mit herzlichen Gruessen

Ihr ergebener
(Unterschrift Henkensiefken)


Die für Henkensiefken und Gerlach zum damaligen Zeitpunkt unklaren Umstände um den weiteren Lebensweg von Dr. Alfred Rohde standen im Mittelpunkt des dritten, und letzten vorliegenden, Briefes von Henkensiefken an Gerlach.



Wilhelmshoehe, den 10. November 1960

Sehr verehrter Herr Oberbaurat !

Ich komme erst heute auf Ihren Brief vom 23.10.zurueck, fuer den ich Ihnen herzlich danke, die Rueckfrage bei Frau Krueger in Potsdam erforderte doch laengere Zeit. Die alte Adresse von Frl. Rau war unvollstaendig, sie lautet richtig :

Muenchen, Karl-Postl-Str. 16 I.

Ueber Dr. Rohde habe ich von unserem Freudn, Zahnarzt Harry Ulkan, Bielefeld, Viktoriastrasse 1, vorlaeufig folgende Auskunft bekommen : Dr. R. war eine Zeitlang als Patient im Krankenhaus der Barmherzigkeit. Er hatte Dysenterie. Es ging ihm aber verhaeltnismaesig gut, war aber mit den Nerven voellig runter. Er konnte zu einer Zahnbehandlung bei Herrn Ulkan noch mehrere Treppen im Krankenhaus steigen. Zusammen mit ihm im Zimmer lag Herr Kallisch, Inhaber einer Buchhandlung in Kbg, der Herrn U. mitgeteilt hat, dass Dr. R. – wohl infolge Nervenzerruettung – mit Professor Boettner Auseinandersetzungen hatte, so dass er schliesslich aus dem Krankenhaus entlassen wurde.

Frau R. war nicht im Krankenhaus.Es ging ihr gesundheitlich besser und sie konnte durch Tauschgeschaefte (auf dem schwarzen Markt?) fuer ihren Mann Gruetze u. ae. Besorgen, die sie ihm dann ins Krankenhaus brachte.

Herr U. schrieb weiter, dass von beiden Rohde seiner gestorben und der andere sich das Leben genommen haben soll. Er nimmt an, dass Dr. R. gestorben ist, waehrend seine Frau, die abgesehen von ihrer besseren koerperlichen Verfassung auch viel unkomplitzierter war, freiwillig aus dem Leben gegangen ist. Ueber den ungefaehren Zeitpunkt gehen die Ansichten noch auseinander. Herr U. wird versuchen, ueber eine Bekannte, die s. Zt. als Krankenschwester in der Barmherzigkeit Dienst tat, Genaueres zu erfahren. Es geht allen so, die 15 Jahre, die dazwischen liegen, haben manche Erinnerung ausgeloescht.

Ich darf Sie, Herr Oberbaurat, bitten, mit Ruecksicht auf die Tochter von R. diese Mitteilungen nur soweit zu verwenden, als es Ihnen notwendig erscheint.

In der Beschreibung des Bernsteinzimmers im Fuehrer der Verwlt.der Schloesser und Gaerten ist ein Druckfehler. Der Architekt, der es in Zarskoje Sselo einbaute, hier Rastrelli nicht Rastelli.

Vielleicht haben Sie im Ostrp.Bl.Nr.45 gelesen, dass ich am 26.10.1960 mein 40jaehriges Dienstjubilaeum hatte. Das gab natuerlich allerlei Unruhe.

Mit herzlichen Gruessen auch an Ihre Gattin

Ihr ergebener
(Unterschrift Henkensiefken)  

9 Kommentare:

  1. Siehe hierzu auch http://books.google.at/books?id=CJJ8tb4IY6cC&pg=PA512&lpg=PA512&dq=Friedrich+Henkensiefken+kassel&source=bl&ots=wXzvq9lmoB&sig=Zxl42rfjcywahAFQ-x9PtLMzRwM&hl=de&sa=X&ei=lw_RT7PpOoao4gSEqeihDw&ved=0CFUQ6AEwBA#v=onepage&q=Friedrich%20Henkensiefken%20kassel&f=false

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  2. Danke für die Briefe. Sehr interessantes Material.

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  3. Hallo, interessante Texte. Wieder eine Dame aus München mehr, die Manfred gekannt haben könnte.
    Grüße

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    1. Die Frauen sind aber bekannt. Eine war in der Schlossverwaltung, die Andere war die Sekretärin von Alfred Rohde.

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    2. Hallo, war denn die Gräfin A.v.R. nur ein Joke der Stimme aus erfurt??

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    3. Keine Ahnung, bei der Frl R. handelt es sich hier um Frl. Rau. Die war Sekretäring von Rohde und kommt auch in den bekannten filmischen Dokumentationen zu Wort.

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  4. Tolles Material. Danke

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  5. War den die Frau A. v. R. auch aus München?

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  6. Hallo,

    so liest man es doch überall.
    Grüße

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